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Von Ralf Fücks
Die betont lockere Atmosphäre während des jüngsten Treffens zwischen Präsident Bush und seinem russischen Kollegen Putin kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen gegenwärtig gespannter sind, als sie es jemals seit dem Ende des kalten Krieges waren. Russland, durch boomende Einnahmen aus dem Rohstoffexport gedopt, fühlt sich wirtschaftlich und politisch stark genug, um seine Rolle als Gegengewicht zu den USA wiederherzustellen. Nach einem Jahrzehnt der Auflösung des sowjetischen Imperiums hat die russische Machtelite gelernt, die riesigen Naturreichtümer des Landes dafür zu nutzen, wieder Einfluss auf Europa und darüber hinaus zu erlangen. Es erweitert sein Öl- und Gasimperium in Richtung Zentralasien, verstärkt so seine Kontrolle über die Gasversorgung Europas und untergräbt damit die Pläne, eine transkaspische Pipeline an Russland vorbei zu bauen. Für Putin ist es kein Problem, autokratische Führer in Kasachstan oder anderen zentralasiatischen Staaten zu unterstützen und ihnen uneingeschränkte politische Unterstützung zu bieten, solange sie zur Zusammenarbeit bereit sind.
Als Außenministerin Rice vor kurzem bemerkte, dass „niemand ein Monopol über natürliche Rohstoffe braucht", dürfte dies die Vertreter Russlands kaum beeindruckt haben. Die Abhängigkeit Europas von russischem Gas ist genau das, wonach sie streben. Präsident Putin und seine Umgebung haben hart darum gekämpft, die staatliche Kontrolle über die Naturreichtümer Russlands wiederherzustellen. Auf diesem Weg ist es ihnen gelungen, ihren potentiellen Gegenspieler Michail Chodorkowski auszuschalten und sich der Bohrkonzessionen von Wirtschaftsgiganten wie BP und Shell zu bemächtigen. Die Ausübung der Kontrolle über die Öl- und Gasförderung ist für die herrschende Gruppe um Putin nicht nur ein Mittel, um die Verfügung über gigantische Vermögen zu erlangen. Sie eröffnet ihnen zugleich die Möglichkeit, politischen Einfluss für Russland über dessen Grenzen hinweg zurückzugewinnen. Im Zuge der Übernahme der politischen Macht durch frühere Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde die „wilde“ Privatisierung der Staatsbetriebe in Russland durch eine neue Art der Staatswirtschaft ersetzt. Die Zentralregierung kontrolliert wieder die großen Unternehmen und nutzt ihre wirtschaftliche Macht, um ihre politische Reichweite zu vergrößern. Ein Beispiel dafür war der Einsatz von Preiserhöhungen als Waffe, um die Kontrolle über die Energieversorgung der Ukraine und Weißrusslands auszuweiten, ein weiteres Beispiel ist die Sperrung der Ölversorgung für die einzige Raffinerie Litauens, als ein polnisches Unternehmen statt einem russischen Konzern den Zuschlag als Anteilseigner erhielt.
In der akademischen Diskussion gibt es unterschiedliche Erklärungen, welches die Motive für die aggressive Ressourcenpolitik Russlands sein könnten - geht es schlicht um Profit oder wird Putins Mannschaft eher durch politischen Ehrgeiz geleitet? Ich denke, es trifft beides zu – die Ansammlung von Reichtum in den Händen der Staatskapitalisten ist ein starkes Motiv, die Ansammlung politischer Macht ist ein noch viel stärkeres. Putins Streben zielt darauf, Russlands Status als Global Player wiederherzustellen. In seinen Augen waren die neunziger Jahre ein verlorenes Jahrzehnt für Russland. Seine Aussage, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die schlimmste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts war, spricht Bände. Die Kontrolle über die jetzt formell unabhängigen früheren Sowjetrepubliken – in der russischen Terminologie die „unmittelbare Nachbarschaft" – wiederzuerlangen, ist ein Ziel seiner Politik. In den Augen des Kremls haben die früheren Protektorate nicht das Recht auf volle Souveränität. Das wurde auch angesichts der russischen Drohpolitik gegenüber Estland im Konflikt um das Rotarmisten-Denkmal in Tallin deutlich.
Das andere wichtige Ziel besteht darin, auf die Weltbühne zurückzukehren als eine Macht, die von den USA nicht beiseite geschoben werden kann. Von den USA als eine gleichstarke Macht angesehen zu werden, ist von größter Bedeutung für die Selbstachtung der russischen Elite. Wie der Economist in seiner Ausgabe vom Mai 2007 schrieb, ist für sie das Verhältnis zu Amerika „der Maßstab für Russlands Platz in der Welt". Für die Amerikaner ist Russland jedoch nur ein Faktor in ihrer Außenpolitik – und durchaus nicht der wichtigste. Dieser Unterschied in der gegenseitigen Bedeutung der beiden Seiten ist eine wesentliche Quelle der Spannungen zwischen Russland und den USA.
Es trifft zwar zu, dass viele in Russland enttäuscht sind, weil die russische Solidarität mit Amerika nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 nicht mit entsprechendem Entgegenkommen der Amerikaner belohnt worden sei; es wäre aber naiv, die Konflikte in den gegenseitigen Beziehungen auf eine Frage der Anerkennung und des Respekts zu reduzieren. Zwar sollte eine Verbesserung des Klimas zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml durch bessere Kommunikation und Konsultation bei ausreichendem gutem Willen auf beiden Seiten durchaus zu erreichen sein. Aber bis zu einer strategischen Partnerschaft zwischen dem Westen und Russland ist es noch ein langer und konfliktreicher Weg. Natürlich gibt es gemeinsame Interessensgebiete wie die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen, die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages oder die Eindämmung radikal-islamistischer Bewegungen. Auf diesen Gebieten sollten wir die Zusammenarbeit weiter ausbauen. Aber zugleich gibt es eine Reihe von Interessenkonflikten, die auch in unterschiedlichen Wertorientierungen begründet sind:
- Russland ist nicht mehr länger ein Land auf dem Weg zur Demokratie: es ist zurückgekehrt zur Tradition eines autoritären Staates. Alle Macht ist im Kreml, an der Spitze der Pyramide, konzentriert. Das Parlament, die meisten Parteien, das Rechtswesen, die Medien, die Regionalgouverneure, die Bürgermeister von Moskau und St. Petersburg, die führenden Unternehmen – sie alle sind abhängig von den obersten Behörden. Der Staat unterliegt keiner öffentlichen Kontrolle und die Gesellschaft hat ihren Einfluss auf die Politik wieder weitgehend verloren.
- Die Wirtschaftssysteme Russlands und des Westens sind kaum kompatibel. In den Wirtschaftsbereichen mit strategischer Bedeutung werden die ausländischen Unternehmen in die Rolle von Juniorpartnern zurückgedrängt. Sie dürfen gerne Know-how und Geld liefern, aber die russische Seite entscheidet. Da es keine Rechtssicherheit gibt, gibt es auch keine Sicherheit für ausländische Investitionen. Westliche Unternehmen erhalten zu zentralen Bereichen der russischen Wirtschaft keinen oder nur eingeschränkten Zugang.
- Russlands Ehrgeiz, seine politische und wirtschaftliche Vorherrschaft über die früheren Sowjetrepubliken von Zentralasien bis zur Ostsee wiederherzustellen, kollidiert mit den strategischen Interessen der USA und der EU und natürlich mit den Bestrebungen der Länder, die sich als Teil des Westens sehen und sich politisch dort verankern wollen. Solange Russland die Erweiterung der NATO und die EU in Richtung Osteuropa und Kaukasus als Bedrohung seiner eigenen Machtinteressen betrachtet, werden diese Regionen das Feld für Machtspiele statt für eine strategische Zusammenarbeit abgeben. Dies wird solange der Fall sein, bis Russland anerkennen kann, dass eine demokratische, stabile und prosperierende Nachbarschaft in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse ist. Mit anderen Worten: bis Russland bereit ist, zu akzeptieren, dass es kein Imperium, sondern ein wichtiger Staat unter anderen Staaten ist.
- Es ist Russland bisher nicht gelungen, eine internationale Politik zu entwickeln, die es ihm gestattet, seine neue Macht konstruktiv zu nutzen. Sein Hauptziel scheint bis heute darin zu bestehen, die Macht der USA einzuschränken und sich wieder als weltpolitischer Gegenspieler zu etablieren. Dies scheint mir der Hauptgrund für die Waffenverkäufe an den Iran, Syrien und Venezuela, für die Blockadepolitik Moskaus in der Kosowo-Frage und für die aggressive Reaktion auf die Pläne der USA, ihre Raketenabwehr auf Mittel- und Osteuropa auszuweiten, zu sein.
Die Integration Russlands in den Westen ist eine gute Idee, aber in den letzten Jahren entwickeln sich die Dinge in anderer Richtung. Die vorherrschenden Tendenzen in der russischen Politik sind heute ein virulenter Nationalismus, politische Autokratie und neu belebte imperialen Bestrebungen. Das darf und muss nicht zu einem neuen Kalten Krieg führen. Am wahrscheinlichsten ist für die nächsten Jahre eine Periode begrenzter Kooperation und begrenzter Konflikte zwischen Russland, den USA und der Europäischen Union. Zumindest wird es nicht möglich sein, die russische Gesellschaft erneut vom Rest der Welt zu isolieren – falls die USA und Europa nicht so dumm sind, ein engstirniges Visa-Regime für russische Stundenten und Wissenschaftler, Künstler und Touristen einzuführen.
Wo immer es möglich ist, sollten wir mit der russischen Regierung so umgehen, dass sie sich einbezogen fühlt und der Willen zur Zusammenarbeit deutlich ist. Genauso wichtig sind aber die Beziehungen auf der Ebene der Zivilgesellschaft, zwischen Städten, Universitäten, Künstlern, Nichtregierungsorganisationen usw. Dies könnte sich langfristig als der beste Weg zur Wiedergewinnung von Vertrauen und zur Entwicklung gemeinsamer Interessen zwischen Russland und dem Westen erweisen.